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Hall in Tirol
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Ueli Steck und Don Bowie auf Cho Oyu

Nach der Besteigung des Shisha Pangma (8027m) vor ein paar Wochen glückte nun am 05.05. dem Schweizer Ueli Steck zusammen mit seinem kanadischen Bergpartner Don Bowie mit dem Cho Oyu der zweite 8000er innerhalb kurzer Zeit.

Wir wollen hiermit einen Blick in das Tagebuch von Ueli Steck werfen, in dem er den Gipfelsturm auf den Cho Oyu (8201m) schildert:

4. Mai. Heute ist es alles anders, als der Wetterbericht vorhergesagt hat. Der Wind bläst und es schneit. Angekündigt war Sonne. Trotzdem, das Wetterfenster ist klar: 4. und 5. Mai, ab 6. Mai kann es schon wieder mehr Feuchtigkeit haben. Gestern hatte ich eine Linsenwolke über dem Gipfel beobachtet und dem Wetterbericht keinen rechten Glauben schenken wollen. Man darf seine Augen nicht verschliessen, das Wetter findet immer noch draussen statt und nicht in einem Büro in Bern. Aber das Büro in Bern ist eine unverzichtbare Hilfe. Ohne Meteotest hätte ich nicht auf dem Shisha Pangma gestanden.

Wir entscheiden uns, morgen aufzusteigen. Am 5. Mai probieren wir den Gipfel. Wenn’s nicht klappt, bleibt uns vielleicht noch ein weiterer Tag. Für den 9. Mai sind die Yaks bestellt, um ABC zu verlassen. Am 10. Mai geht es zum Everest Basislager mit oder ohne Gipfelerfolg am Cho Oyu. Unser Hauptziel heißt Everest. Allerspätestens am 10. müssen wir abreisen. Der Countdown läuft.  Dieser Gedanke ist irgendwie befreiend. Nachdem ich Stunden im Zelt gelegen habe, ist es schön zu wissen, es geht weiter. Ewiges Warten auf gutes Wetter im ABC ist keine Option. Jetzt Cho Oyu, dann Everest und danach nach Hause!

Das Wetter beruhigt sich etwas. Vor dem Mittag besuchen wir noch eine andere Expedition im ABC. Wir haben sie in Nyalam getroffen. Jetzt sind auch sie im ABC angekommen. Es geht unterhaltsam zu an diesem Berg. Es hat zwar viele Leute, aber irgendwie sind alle gut gelaunt. Zudem gibt es im Messezelt eine funktionierende Heizung. Da sind wir etwas neidisch. Wir haben hier dasselbe Heizungsmodell wie am Shisha Pangma und auch hier streikt das System aufgrund der Höhe. Der Koch erklärt mir, er habe es in Kathmandu getestet. Immerhin, sie funktionierte also einwandfrei bei 30 °C auf 1600 Meter.
Um 12.00 Uhr ist Essenszeit, danach geht’s langsam ans Packen. Ich freue mich, diesmal müssen wir nicht mehr als Lastesel gehen. Alles Material ist bereits oben. Nur noch ein paar Kleinigkeiten. Ich gönne mir den Luxus eines zweiten Schlafsacks, um meinen besonders dünnen und leichten anderen Schlafsack zu ergänzen. Diese 800 Gramm extra sind drin! Wir müssen achtgeben, hier geht es ums Akklimatisieren, nicht um  Zeit. Ob wir die Normalroute am Cho Oyu in 2 Tagen klettern oder in 10 Stunden spielt keine Rolle. Wir müssen hier fit werden für Everest.

Der Aufstieg ins Lager auf 6850 Meter wird mühsam. Es liegt Schnee auf dem ganzen Weg. Eine andere Expedition, die den Gipfel ebenfalls für den 5. Mai eingeplant hat, ist bereits vor zwei Tagen aufgestiegen. Zuerst 6400, dann 7200 Meter und heute zum Lager 3 auf 7600m. Zwischenzeitlich hat es wieder geschneit, und wir haben das besondere Vergnügen, Schnee zu stampfen. Zum Glück sind unsere Rucksäcke sehr leicht, und wir nehmen es ganz gemütlich. Wir haben keinen Stress. Der Gletscher, den wir am Rand aufwärts passieren, ist eindrücklich. Bizarre Zacken und Türme ragen blau schimmernd in den wolkenlosen Himmel. Schönstes Wetter. Wir machen eine kurze Pause vor dem steilen Aufstieg zu Lager 1. Ich habe mir eine Büchse Coca-Cola mitgenommen. Nach 10 Minuten steigen wir weiter. Wir erkennen zwei Bergsteiger, die vom Middlecamp Richtung Camp 1 absteigen. Glück für uns, dann haben wir weiter oben wenigsten eine halbwegs gemachte Spur. Doch die Spur ist alles andere als die Erlösung. Die Schritte sind viel zu weit, da sie im Abstieg gemacht wurden. Aber sie helfen ein bisschen. Nach unserer Ankunft im Middlecamp auf 6850m, kochen wir Essen und probieren etwas zu schlafen. Der Wecker ist auf Mitternacht gestellt. Ein langer Tag steht uns bevor. Es wird viel zu schnell Mitternacht, gern wäre ich noch länger im warmen Schlafsack geblieben. Jetzt bläst mir eine eisige Brise ins Gesicht. Es ist saukalt. Kari Kobler hatte mich gewarnt, das sei ein kalter Berg, jetzt wird es mir gerade bewusst!

Die monotone Spurerei geht los. Abwechselnd gehen Don oder ich voraus. Wir sind um 3.30 Uhr im Lager 2 auf 7200m. Wir suchen uns ein leeres Zelt, um eine Pause zu machen.  Ich strecke meine Füsse ins Vorzelt, da ich meine Steigeisen nicht ausgezogen habe. Don sitzt in der hinteren Ecke mit ausgestreckten Beinen. Während er über kalte Füsse klagt, sind meine schön warm. Ich habe eine Heizung in meinen Schuhen, die ich auf der dritten Stufe laufen lasse. Jetzt nutze ich die Gelegenheit, um neue Batterien einzusetzen. So habe ich noch einmal 5 ½  Stunden Wärme, bis da sollten wir in der Sonne sein und die Kälte nicht mehr ganz so schlimm spüren. Eine halbe Stunde später verlassen wir das Zelt. Zwei junge Franzosen haben sich ebenfalls bereit gemacht, um auf den Gipfel zu gehen, zusammen mit ihrem Sherpa sind wir nun zu fünft unterwegs. Lager 3 liegt auf 7600 Meter. Wir sehen gerade, wie die ersten Bergsteiger Lager 3 verlassen haben. Die Sonne wärmt uns, endlich! Paul, ein Bergführer aus Chamonix, bietet uns heissen Tee an. Eine Wohltat. Auch die zweite Tasse nehmen wir dankend an, bevor wir weitergehen. Es herrscht reger Betrieb hier oben. Weiter geht es über das gelbe Band. Eine Felsstufe, die mit fixen Seilen versichert ist. Die Kletterei ist nicht schwierig. Ich hänge nur eine Schlinge mit einem Karabiner ins Seil, zur Sicherung, klettere aber die Passagen, das macht viel mehr Spass, als sich an den Seilen hochzuziehen. Wir haben die meisten anderen am Ende des Gelben Bandes überholt. Unsere zwei Kollegen aus Bolivien, Elio und Bernardo, sind weit voraus, ebenso Sophie und ihr Climbing Sherpa. Der Berg ist Skistockgelände. Ich bin froh, dass ich meine Carbonstöcke dabei habe, die sind hier deutlich hilfreicher als ein Pickel. Nach einer Rechtstraverse geht es über eine Wechte auf das Gipfeleisfeld. Das zieht sich ewig dahin. Ich erinnere mich, was uns Elizabeth Hawley in Kathmandu mit auf den Weg gegeben hatte: „ If you can`t see Everest, you are not on Summit!“ Komisch, dass mir diese Worte einer über 80jährigen Frau in den Sinn kommen, die noch nie einen Achttausender bestiegen hat, aber alle Expeditionen dokumentiert. Es dauert noch eine Weile, bis wir endlich Everest sehen!  Wir stehen ca. 10 Minuten auf dem Gipfel, sicher nicht länger. Schnell ein paar Fotos und dann wieder runter. Schritt für Schritt.

Das war mein zweiter Gipfel über 8000 Meter innerhalb von 18 Tagen. Ich habe schon beim Losgehen gemerkt, dass ich nicht mehr ganz so frisch war wie am Shisha Pangma. Trotzdem ich bin guter Dinge. Es war ein schöner Berg. Auch all die Leute, die wir hier getroffen haben. Und anders, als immer behauptet wird, war jeder sehr hilfsbereit, jeder hat dem anderen geholfen, wo es ging. Man bietet einander Tee an und Schokoriegel und hilft Neuankömmlingen, das Zelt aufzustellen. Sicher, es gab auch den einen oder anderen Nicht-Bergsteiger hier am Berg. Sicher, die Route ist technisch weniger anspruchvoll. Dennoch, der Gipfel ist 8201 Meter hoch. Jeder hat sein eigenes Ziel. Ob man von 7600 Meter startet, um auf den Gipfel zu kommen, ob man 10 oder 20 Stunden braucht, egal. Jeder dieser Menschen bringt ganz eigene Erlebnisse mit nach Hause, das ist, was zählt. Ich jedenfalls werde gute Erinnerungen mit nach Hause nehmen vom Cho Oyu. Jetzt bin ich etwas müde. Zwei Gipfel stecken in meinen Knochen. Wir probieren, nach Lhasa zu kommen, um uns etwas zu erholen, wenn uns die Chinesen das erlauben, und danach fahren wir zum Everest Basecamp. Vielleicht bleibt uns das Glück ja treu!

Quelle + Bilder: www.uelisteck.ch

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