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Normprüfung von Klettersteigsets
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Mal als Erklärung für alle die es genau wissen wollen, ausgehend vom Artikel “Bedingungsloses Vertrauens ins Material” aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Berg und Steigen (02/2010) von Björn Ernst, eine Zusammenfassung in eigenen worten (ich will natürlich keine Copyrights verletzen !).
Den Artikel gibt es für Abonnenten hier[/url:3veis6b6] zum Herunterladen.
Die ZeitshrifT:
Berg und Steigen erscheint vier Mal jährlich und wird herausgegeben in Kooperation des Südtiroler Alpenvereins, des Deutschen Alpenvereins, des Österreichischen Alpenvereins und des Schweizer Alpen-Clubs SAC. Direkter Herausgeber ist hierbei der Östereichische Alpenverein.
Zusammenfassend werden Sicherheitsrelevante Themen aus allen Bergsportdisziplinen erörtert, man kann also davon ausgehen dass die aktuellen Artikel somit immer dem aktuellsten Stand der Lehrmeinung in Sicherheitsfragen entsprechen.
Der Autor:
Björn Ernst arbeit “seit einigen Jahren” im “akkredidierten Prüflabor für persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz” des “Institutes für Fördertechnik und Logistik” (IFT) der Universität Stuttgart.
Dieses Institut führt Normprüfungen für Kletterausrüstung durch (Personliche Schutzausrüstung gegen Absturz, PSA).
Hintergrund:
Jeder PSA-Artikel muss von unabhängiger Stelle (also nicht vom Hersteller selbst !) nach definierten Normen und Verfahren geprüft werden – bevor er innnerhalb der EU verkauft werden darf (EN-Prüfung). Die höchste Sicherheitsrichtlinie für PSA ist die Kategorie III. Die meißten Kletterprodukte (so auch Klettersteigsets) fallen unter diese Kategorie.
Nur zertifizierte Prüflabore dürfen diese Prüfungen durchführen.
Auf jedem Produkt der PSA-Kategorie III muss das CE-Zeichen, sowie eine vierstellige Nummer stehen welche die Stelle angibt die für die Überwachung des Produktes zuständig ist ('CE 0123' ist z.B. TÜV Süd Product Service in München). Auf dieser Infoseite der EU[/url:3veis6b6] kann man diese Nummern nachschlagen.
Es gibt zusätzlich noch eine erweiterte Normprüfung welche von der UIAA (Union Internationale des Associations d’Alpinisme), einer internationalen Organisation von Bergsportverbänden vorgegeben wird. Diese Prüfung stellt meißt noch härte Anforderungen als die EN-Prüfung, ist aber nicht Pflicht.
Der Hersteller druckt im Regelfall ein UIAA-Logo auf sein Produkt wenn diese Prüfungen zusätzlich erfüllt wurden.
Für unsere Klettersteigsets gelten folgende Prüfnormen:
– EN 958
– UIAA 128
Es wird dabei (EN-Norm) geprüft: Konstruktion, Fangstoß, Bremsweg, statische Festigkeit, Ansprechkraft
-> Die einzelnen Komponenten des Klettersteigsets (Karabiner, Bandschlinge) müssen dabei natürlich vorher schon die jeweiligen EN-Prüfungen als Einzelteile bestanden haben !
–> Das Einsehen der exakten Prüfungsrichtlinien ist (für einen Privatmensch) sehr teuer, außerdem unterliegen diese strengen Rechten, deshalb kann ich diese hier nicht einfach vollständig aufführen !
Die EN-Prüfung:
Die Prüfung erfolgt mit einem Gewicht von 80kg und einer Fallhöhe von 5 Metern.
Das Gewicht fällt auf eine 'Prallplatte' welche vom KS-Set gehalten wird. Das Gewicht muss nun nach maximal 1200 mm und einem maximalen Fangstoß von 6 kN (ca. 600 kg) zum Stillstand kommen und gehalten werden.
Diese Prüfung entspricht nicht so ganz der Realität, simuliert jedoch einen Sturz im Klettersteig beim Umklippen des Karabiners 1 Meter über dem letzten Ankerpunkt und einem senkrechten Ankerabstand von 3 Metern. (1 m + 3 m + 1 m = 5 m).
Diese Prüfung muss in allen vom Hersteller zulässigen Befestigungskombinationen durchgeführt werden.
Nach dieser Prüfung kommen die Klettersteigsets auf eine Zugprüfmaschine, und müssen einer Zugkraft von 9 kN (ca. 920 kg) bruchfrei standhalten.
Sehr schwierig für die Hersteller ist die Kombination aus den beiden Anforderungen “Fangstoß kleiner 6 kN” und “Bremsweg maximal 1200 mm”.
Unabhängig von den beiden oberen Tests wird noch die Ansprechkraft der Bremse geprüft. Diese darf erst ab 1,2 kN (ca. 120 kg) überhaupt ansprechen.
Dadurch soll sichergestellt werden dass die Sicherheitsreserven der Bremse nicht langsam aufgebraucht werden, wenn der Klettersteiggeher sich zum Rasten in die Bremse setzt.
-> Steht nicht im genannten Artikel, ist mir aber noch im Kopf geblieben: Klettersteigsets dürfen nicht veränderbar verkauft werden. Das heißt es muss ausgeschlossne werden dass der Anwender einzelne Teile eines Sets (z.B. die Karabiner) ausbauen und durch andere ersetzen kann.
Die UIAA-Prüfung:
Hier wird nun zusätzlich eine Nassprüfung vorgeschrieben, damit die Sicherheit der Klettersteigsets auch bei Regen und Wettersturz gewährleistet ist.
-> Diese Prüfung wird von der EN-Norm nicht vorgeschrieben. In einem Test des DAV wurde aber bewiesen dass sich die Fangstoßwerte durch Nässe deutlich über der Norm befinden können, bis zum Komplettriss des Sets. Die Hersteller haben zwar reagiert, es ist aber sicherlich nicht schlecht diese Information im Hinterkopf zu behalten.
Weiteres:
– Klettersteigsets sind für den EINMALIGEN GEBRAUCH ausgelegt. Dies ist bei Bandfalldämpfern schon von der Konstruktion her klar, bei Bremssystemen mit Mehrlochplatte oder Keilnutplatte ist dies nicht so offensichtlich, soll hier aber nochmal klargestellt werden. Die Belastungswerte bei einem erneuten Sturz in eine zurückgefädelte Bremse werden nicht geprüft und verändern sich deutlich !
– Fehlanwendungen wie z.B. “Kurzschließbarkeit” werden (noch) nicht geprüft. Kurzschließen eines KS-Sets bedeutet, vereinfacht gesagt, dass man den einen Karabiner ins Stahlseil hängt, und den anderen Karabiner in ein tragendes Teil (z.B. die Anseilschlaufe, nicht Materialschlaufe) des Klettergurtes. Dadurch kann das Set bei einem Sturz falsch belastet werden und reißen. Dieses, und das Ansprechverhalten bei Nässe hat der DAV getestet. Der Testbericht kann hier[/url:3veis6b6] runtergeladen werden. Direktlink: Testbericht Klettersteigsets[/url:3veis6b6]
– Aktuelle Klettersteigsets weißen Fangstoßkräfte zwischen 4,5 und 6 kN auf. Diese Fangstöße sind sehr hart. Noch dazu ist bei jedem Sturz ein Anschlagen am Fels oder an Eisenverankerungen des Klettersteiges wahrscheinlich. Deshalb gilt die Aussage des DAV dass nach einem Sturz ein 'weitergehen' meißt nicht mehr möglich ist. Im Normalfall muss also eine Rettung, sowie medizinische Versorgung des Gestürzten erfolgen.
(Dies betrifft natürlich nur 'harte/lange' Stürze. Bei kleineren 'Hopsern' kann das ganz anders aussehen !)
– Der Fangstoß ist nahezu gewichtsunabhängig. Das heißt: Je leichter eine Person, desto härter der Fangstoß.
Klettersteigsets speziell für Kinder sind unter diesem Gesichtspunkt eine gute Idee, nur leider (noch) nicht erfüllbar, da diese ja gleichzeitig zwingend die EN-Norm für 80 kg Fallgewicht erfüllen müssen. Das Ausarbeiten neuer Normen dauert sehr lange !
Der Autor des Artikels bereitet aber momentan Testreihen in Zusammenarbeit mit der DAV-Sicherheitsforschung zu diesem Thema vor um diese Lücke mittelfristig schließen zu können.
– Geht man einen Klettersteig ohne ein normgeprüftes Klettersteigset mit Bremse, so ist der Fangstoß bei einem Sturz (selbst wenn ein Stückchen dynamisches Klettersteil verwendet wird) so hart dass entweder der eigene Körper, oder die Ausrüstungsteile reißen. Dies sei hier nochmal in aller Deutlichkeit klargestellt ! Die Normprüfung für Klettersteigsets gibt es nicht umsonst !
Fazit des Autors:
“Aufgrund der zunehmenden Zahl an Klettersteigen und unerfahrenen Klettersteiggehern wird es sicherlich auch in Zukunft schwere Unfälle und bei Fehlanwendungen auch Totalabstürze auf Klettersteigen geben”
Dieser Beitrag ist eine persönliche Zusammenfassung von mir zu dem o.g. Artikel. Er enthält -von mir interpretierte- Informationen des Artikels, sowie eigenes Hintergrundwissen und stellenweise auch eigene Meinung/Erfahrung, der Beitrag erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit ! Auf keinen Fall darf der Inhalt dieses Beitrages als 'absolut richtig' eingeschätzt werden. Jegliche Information sollte hinterfragt und recherchiert werden bevor sie als 'richtig' angesehen wird !
Ich hoffe dieser Beitrag schließt ein paar Wissenslücken und war interessant zu lesen !
Thomas
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Toller Beitrag deinerseits, Thomas…. Danke!
Dafür gibt es ein “Gefällt mir” über den Facebook-Button!!
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Im Anschluss an die letzte unschöne Diskussion mit NRETNI und Bernie hat mir dieser Satz am besten gefallen:
“Geht man einen Klettersteig ohne ein normgeprüftes Klettersteigset mit Bremse, so ist der Fangstoß bei einem Sturz (selbst wenn ein Stückchen dynamisches Klettersteil verwendet wird) so hart dass entweder der eigene Körper, oder die Ausrüstungsteile reißen. Dies sei hier nochmal in aller Deutlichkeit klargestellt”
Besser geht's nicht – danke für den Beitrag, Thomas!
Uli